Gebiss - welche Form & Grösse passt?
- Eliane Schütz

- 6. Okt.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Okt.
Ein passendes Gebiss ist entscheidend für eine feine Anlehnung und das Wohlbefinden des Pferdes. Form, Dicke und Länge des Mundstücks haben dabei den größten Einfluss.
🦷 Anatomiecheck – das Maul deines Pferdes verstehen
Viele Reiter unterschätzen, wie individuell die Anatomie im Pferdemaul ist. Das Mundstück sollte sich jedoch genau danach ausrichten. 💡 Je besser du die Gegebenheiten im Maul deines Pferdes kennst, desto leichter findest du das passende Gebiss. Die verlässlichsten Infos bekommst du durch Befragung deines Pferdezahnarztes bei der jährlichen Kontrolle. Hast du den nicht gerade an der Hand, kannst du folgendes selbst auskundschaften:
Laden: Das sind die zahnfreien Räume zwischen Schneide- bzw. Hakenzähnen und Backenzähnen des Unterkiefers. Diese Knochen sind nur mit Haut überzogen (ähnlich wie dein Schienbein) und je nach Form mehr oder weniger sensibel. Du kannst vorsichtig tasten, ob sich die Laden schmal und spitz anfühlen oder eher breit und rund.
Zunge: Wie voluminös ist die Zunge deines Pferdes? Beobachte verschiedene Pferde beim Gähnen oder Aufzäumen – du wirst sehen, dass die Zunge unterschiedlich „fleischig“ ist und entsprechend mehr oder weniger Platz im Maulraum einnimmt. Auch die Untersuchung auf Narben (z. B. durch Gebisse, scharfe Zahnkanten, Verletzungen) kann aufschlussreich sein.
Gaumenform: Hat dein Pferd einen gewölbten, hohen Gaumen oder einen flachen? Das beeinflusst zusammen mit der Zungenform massgeblich das Platzangebot für das Gebiss.
Kieferabstand: Wie viel Raum liegt zwischen Laden und Oberkiefer, wenn dein Pferd das Maul geschlossen hält?Lege als Test Zeige- und Mittelfinger aneinander und schiebe sie vorsichtig hochweg zwischen die Kieferäste, da wo das Gebiss zu liegen kommt. Kommst du da schon beidseitig an oder hast du noch übrig Platz um die Finger?
Unterkieferbreite: Wie weit sind die linke und rechte Lade voneinander entfernt? Die Gelenke von Gebissen sollen immer dazwischen liegen, nie auf diesen Knochen. D.h. bei schmalem Abstand kommen nur doppelt gebrochene Gebisse mit kurzem Mittelstück oder einfach gebrochene Gebisse in Frage (und natürlich Stangen).
Auf dieser Grundlage kannst du nun deine in Frage kommenden Gebisse wie folgt eingrenzen.
1) Gebissdicke – weniger ist oft mehr
Zu dünne Gebisse finden sich tatsächlich eher selten in Pferdemäulern. Noch immer hält sich hartnäckig die Meinung, je dicker das Gebiss, desto weicher die Wirkung. Das stimmt so nicht – oder nur bedingt.
Natürlich bedeutet mehr Auflagefläche auch mehr Druckverteilung. Aber das hilft nichts, wenn der Platz im Maul knapp ist und das Gebiss gegen den empfindlichen Gaumen drückt. Je dicker die Zunge und je flacher der Gaumen, umso weniger Platz bleibt für das Gebiss.
Das Pferd sollte außerdem das Maul vollständig schließen können, denn Pferde atmen ausschließlich durch die Nase und stabilisieren mit geschlossenem Maul ihr Gaumensegel. War es beim Zweifingertest (siehe oben) knapp, wähle 14 -16 mm, hatte es übrig Platz, so passen auch 16-18 mm Dicke.
👉 Im Zweifel lieber etwas dünner wählen:
Kleinpferde: 14 – 16 mm
Großpferde: 14 – 18 mm
Gemessen wir die Gebissstärke direkt am Trensenring, dieses Mass ist ausschlaggebend für die Turnierzulassung. In der Mitte dürfen die Gebisse dünner sein. Im Zungenbereich abgeflachte Gebisse sind eine gute Möglichkeit, bei wenig Platz dennoch eine grössere Druckverteilung zu erreichen.
2) Gebissgrösse – Seitenteil mitberücksichtigen
Für die Auswahl der richtigen Gebissgrösse musst du zuerst die tatsächliche Maulbreite deines Pferdes kennen.
Du kannst sie einfach ermitteln: Führe ein dünnes Seil oder Riemen vorsichtig durchs Maul, warte, bis das Pferd das Maul schließt, und markiere mit den Fingern die Breite von Maulspalt zu Maulspalt. Miss diesen Abstand mit einem bereitgelegten Massband.
Du findest im Internet auch Schablonen zum Ausdrucken, mit denen du die Maulbreite von aussen bestimmen kannst. Hast du bereits ein gut sitzendes Gebiss, misst du dort den Abstand innen zwischen den Gebissringen. Anatomisch geformte Gebisse legst du zum messen so hin, wie sie tatsächlich im Maul liegen (also nicht überstreckt).
💡 Richtwerte:
Gebisse mit losen Ringen: 0,5 - 1 cm größer als die gemessene Maulbreite → so haben die Ringe etwas Spiel und klemmen die Maulspalten nicht ein. Gebissscheiben können das ebenfalls vermeiden.
Gebisse mit festen Ringen, D-Ringen oder Schenkeln: exakt die gemessene Maulbreite → für ruhigen Sitz und seiltiche Einrahmung. Die Gebissringe sollten an den Maulwinkeln anliegen, aber sie keinesfalls quetschen oder eindrücken. Achte darauf, dass lange Schenkel oder die Bäume der Bauchertrense auch am Oberkiefer nicht drücken, manchmal sind sie dazu leicht vom Pferd weg gebogen.
Zu weite Gebisse sind zu vermeiden, weil:
bei doppelt gebrochenen Gebissen können bei einseitiger Einwirkung die Gelenke auf die Laden rutschen und dort Schmerzen verursachen.
bei einfach gebrochenen Gebissen kann beidseitiger Zügelzug zu einem Nussknackereffekt führen.
bei Stangen mit Zungenfreiheit kann ein seitliches Verrutschen die Zunge zwischen Gebiss und Laden einklemmen.
3) Gebissform – was wann Sinn macht
Die heutige Vielfalt an Gebissen ist großartig – aber für viele Reiter auch verwirrend. Ich fokussiere mich deshalb auf drei Hauptaspekte:
Zungenfreiheit – ja, nein, wie viel?
Zungenfreiheit ist eine Wölbung nach oben im mittleren Bereich des Gebisses. Es gibt sie nicht nur bei Stangen sondern auch bei gebrochenen Gebissen – je nach Krümmung der Gebissglieder.
💡 Bitte beachte, dass der Druck immer irgendwo landet... Zungenfreiheit bedeutet eine Entlastung der Zunge, kann aber umgekehrt zu einer Mehrbelastung der Laden führen!
Die Zunge ist ein starker Muskel, der aktiv agieren kann und deshalb grundsätzlich besser geeignet ist, um mit Druck umzugehen als die knöchernen Laden. Mit zunehmender Zungenfreiheit wird dem Pferd die Möglichkeit genommen, das Gebiss selbstständig weg von den Laden zu heben. Zungenfreiheit sollte nur gewählt werden, wenn sie anatomisch angezeigt ist und nicht "auf Vorrat" weil es nett tönt.
Im Folgenden sind anatomische Merkmale und mögliche Hinweise beim Reiten aufgeführt, die eher für oder gegen Zungefreiheit sprechen. Liegt dein Pferd irgendwo dazwischen, wechselst du am besten zwischen einem Gebiss mit leichter Zungenfreiheit und einem ohne. Der Gebisshersteller Fager empfiehlt grundsätzlich, regelmäßig zwischen leicht unterschiedlichen Gebissen zu wechseln, damit keine Struktur (Zunge, Laden, Gaumen) dauerhaft überbeansprucht wird.
Gebisse mit Zungenfreiheit empfohlen: | Gebisse ohne Zungenfreiheit empfohlen: |
breite, unempfindliche Laden | scharfe, empflindliche Laden |
dicke, fleischige Zunge | dünne, flache Zunge |
hoher, gewölbter Gaumen | flacher, niedriger Gaumen |
Pferd zieht viel nach unten/vorne gegen den Zügel | Pferd reisst oft den Kopf hoch |
Pferd öffnet viel das Maul | Pferd beisst viel auf dem Gebiss herum und versucht es im Maul hoch zu ziehen |
Pferd spielt viel mit der Zunge und/oder legt die Zunge über/hinter das Gebiss | Pferd streckt seitlich die Zunge aus dem Maul |
Pferd ist unkonstant in der Anlehn und entzieht sich bei Zügelkontakt nach vorn oder nach oben | Pferd nimmt schlecht Kontakt auf mit dem Gebiss, lässt es fallen und kommt hinter den Zügel |
BItte beachte, dass all die aufgeführten Reaktionen beim Reiten auch ganz andere Ursprünge haben können (Sitz, Einwirkung, Sattel, medizinische Befunde,..) und gehe Rittigkeitsprobleme ganzheitlich an. Lass vorsorglich etwa 1x jährlich die Zähne deines Pferde kontrollieren.
Beweglichkeit
Ein doppelt gebrochenes Gebiss ist beweglicher als ein einfach gebrochenes, ein einfach gebrochenes wiederum beweglicher als eine Stange. Ist beweglicher automatisch angenehmer? Nicht unbedingt. Bewegliche Gebisse geben dem Pferd mehr Freiheit, unbewegliche dafür mehr Klarheit.
Ein gebrochenes Gebiss ist für einseitige, lösenden und stellenden Hilfen sinnvoll. Dank Gelenk(en) kann damit eine Maulseite separat angesprochen werden.
doppelt gebrochen verteilt sich der Druck des Gebisses gleichmässig auf die ganze Zunge und Laden. Das Mittelstück muss zum Ladenabstand passen und so kurz sein, dass die Gelenke des Gebisses nicht auf diese Knochen rutschen können.
einfach gebrochen verteilt sich der Druck des Gebisses mehr seitlich auf die Zunge sowie auf die Laden. Das Gelenk richtet sich bei beidseitigem Zügelzug zum Gaumen hin auf, kann dafür aber sicher nicht auf den Laden scheuern.
Ein Stangengebiss (ich meine hier immer Stangen ohne Anzüge!) hilft dem Pferd, aktiv ans Gebiss zu suchen/ziehen, sich an diesem selbstständig ausrichten oder Stellung und Biegung über den Sitz schon gut annehmen. Auch junge Pferde finden oft eher Vertrauen und Anlehnung an etwas Festem, Berechenbarem.
„Lock-up“-Gebisse sind eine Mischform aus gebrochenem Gebiss und Stange und vereinen beide Vorteile: Sie sind bis zu einem gewissen Winkel beweglich, dann stabil –und können je nach Situation flexibel oder ruhig wirken.
Leder- oder Kunststoffgebisse sind zwar meist als Stange gefertigt, aber durch ihr Material auch ohne Gelenke leicht beweglich.
Deutlichkeit der Einwirkung
Wie bei jedem Druck gilt: Je größer und ebener die Kontaktfläche, desto sanfter die Wirkung.
Abgeflachte Stangen oder gebrochene Gebisse mit glatten, nicht hervorstehenden Gelenken geben Zügelhilfen sanft und gleichmässig weiter.
Je mehr Struktur das Gebiss hat, umso punktueller und deutlicher kommen die Hilfen an. Bei geformten Gelenken wirken diese:
horizontal liegend → sanfter, weil das Gelenk selbst nicht auf die Zunge drückt.
senkrecht aufgestellt → deutlicher, weil die Gelenke punktuellen Druck auf die Zungen geben.
Ist zusätzlich das Mittelstück noch mit einer Rolle versehen, wirkt auch dieses stärker auf die Zunge - nebst dem es zu mehr Maultätigkeit anregt.
👉 Für sensible, reaktionsschnelle Pferde → glatte, ebene Gebisse. 👉 Für Pferde, die wenig oder langsam auf das Gebiss reagieren → deutlicher strukturierte Gebisse.
Kommunikation statt Kontrolle
Hilfen über das Gebiss sind eine Form der Kommunikation, die ein Pferd verstehen lernen darf. Das Gebiss ist nicht dazu da, ein Pferd mit Kraft in eine Form zu bringen oder zu kontrollieren.
Ich wünsche mir, dass Gebisse nur in ruhigen, mitgehenden und gefühlvollen Händen liegen – als Werkzeug der Verbindung, nicht der Kontrolle.
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